Avatar

Hier erläutert Sri Chinmoy den indischen Begriff des Avatars – einer vollkommen verwirklichten Seele – und ihrer Bedeutung für die Erde. Was ist der Unterschied zu einem Yogi oder einem großen Meister? Waren Napoleon oder Sri Ramakrishna Avatare?

Was ist der Unterschied zwischen dem kosmischen Bewusstsein und dem Christusbewusstsein?

Sri Chinmoy: Das Christusbewusstsein und das kosmische Bewusstsein gehen Hand in Hand. Das kosmische Bewusstsein ist wie ein Haus. Man erwartet, dass jemand in diesem Haus lebt. Wer lebt dort? Das Christusbewusstsein. Im göttlichen Spiel vertauschen jedoch die Spielenden manchmal ihre Rollen. Das Christusbewusstsein wird zum Raum – da derjenige, der das Höchste verwirklicht hat, Teil des Höchsten geworden ist – und das kosmische Bewusstsein wird zum Bewohner dieses Raumes. Das Christusbewusstsein und das kosmische Bewusstsein sind eins. Manchmal ist Christus im Haus und lebt im kosmischen Bewusstsein. Manchmal ist es umgekehrt. Christus verkörpert das kosmische Bewusstsein. Manchmal ist er das Haus und manchmal ist er der Bewohner des Hauses. Aufgrund seines höchsten Bewusstseins, aufgrund seines untrennbaren Einsseins mit seinem ewigen Vater sagte Christus: "Ich und mein Vater sind eins." Wie kam er zu dieser Aussage? Wir sagen häufig, Gott sei unser Vater, doch für die meisten von uns ist das nur eine vage Vorstellung. Wir haben es von unseren Eltern gehört oder in Büchern gelesen. Aber im Falle von Christus ist es eine Wirklichkeit, eine lebendige Wirklichkeit.

War Christus ein Avatar?

Sri Chinmoy: Ein Avatar bedeutet, ein direkter Vertreter Gottes zu sein – Gott in menschlicher Form. Ob Christus ein Avatar war, hängt vom Glauben jedes Einzelnen ab. Ich kann aufgrund meiner eigenen Verwirklichung etwas sagen und aufgrund eurer Verwirklichung könnt ihr etwas anderes sagen. Aufgrund meiner eigenen Verwirklichung möchte ich sagen, dass er immer ein Avatar war, immer ein Avatar ist und immer ein Avatar sein wird. Das ist meine persönliche Meinung und wenn andere es bestreiten wollen, haben sie die Freiheit, es zu tun. Ein Avatar ist jemand, der das höchste Absolute direkt repräsentiert, der Gottes Vision und Wirklichkeit zugleich verkörpert. Christus verkörperte die Vision und manifestierte die Wirklichkeit zugleich. Er verkörperte sie nicht nur, er verkörpert sie immer noch und er wird Gottes Vision und Wirklichkeit zusammen mit Krishna, Ramakrishna und anderen ewig verkörpern. All diese Meister kamen von derselben Wurzel, nur ihre Namen waren verschieden. Diesen Augenblick sagen wir Krishna, weil wir die Form Krishnas gern haben. Im nächsten Augenblick ist uns vielleicht Buddhas Form lieber und wir nennen ihn Buddha. Wieder einen Augenblick später nennen wir ihn vielleicht Christus. Doch sie sind ewig eins: Christus, Buddha, Krishna, Ramakrishna und die anderen Avatare.

Was ist deine persönliche Meinung über Jesus Christus? Glaubst du, dass er etwas erreicht hat?

Sri Chinmoy: Sicher. Meine persönliche Meinung über Jesus Christus ist, dass er Gottes Sohn ist. Wenn du das Gefühl hast, er hätte nichts erreicht, so bin ich nicht gleicher Meinung wie du. Aufgrund meiner eigenen Verwirklichung weiß ich, dass er ein waher Sohn Gottes und ein wirklicher Retter der Welt ist. Er war gottverwirklicht und völlig erleuchtet. Er besaß ein Herz voller Mitleid. Sein Herz war eine Flut von Mitleid. Er war, er ist und er wird immer ein Retter der Menschheit sein. Wenn jedoch jemand sagt, er sei der einzige Retter und Krishna, Buddha und andere seien keine Retter, dann kann ich dem leider nicht zustimmen, denn ich kenne diese anderen großen Meister ebenso gut, wie ich Christus kenne. Wenn wir sagen, Christus sei der einzige auserwählte Sohn Gottes, dann begrenzen wir Gott. Diese anderen Meister existierten ebenfalls. Sie sind alle Gottes auserwählte Kinder höchsten Ranges. Sie sind Brüder und Gott, der Supreme, ist ihr Vater. Wie werden diese Meister auserwählt? Sie werden auserwählt, weil sie ihre Wünsche geopfert haben; sie haben allein das Leben des inneren Strebens, das Leben göttlichen Strebens und der inneren Sehnsucht nach Gott angenommen. Was Christus erreicht hat ist außerordentlich. Kein spiritueller Sucher nach der Wahrheit kann das verneinen. In dem Augenblick, wo ein aufrichtiger Sucher in den Bereich der Spiritualität – die wirkliche Wirklichkeit – ein dringt, wird er sehen, wie erhaben, wie hoch und wie weit der Thron Jesu Christi ist, weit über unsere Vorstellung hinaus. Dies sage ich aufgrund meiner eigenen inneren Erfahrung und Verwirklichung.

Es gibt Schüler, die weit von dir entfernt leben. Was bedeutet die Tatsache, dass sie zu dir kommen, um in deiner physischen Gegenwart zu sein?

Sri Chinmoy: Die Schüler, die von weit her kommen, um den spirituellen Meister zu sehen, handeln in göttlicher Weisheit. Der Meister ist im Physischen und der Schüler ist im Physischen. Meistens muss unser physisches Bewusstsein von dem, was geschieht, überzeugt werden. In der inneren Welt erfahren wir Frieden, Licht und Glückseligkeit, doch wenn wir unsere menschlichen Augen, unsere irdischen Augen öffnen, sehen wir nichts. Dann fühlen wir uns elend. Doch wenn wir dieselbe Wahrheit – denselben Frieden, dasselbe Licht, dieselbe Seligkeit – mit unseren äußeren Sinnen erfahren können, dann erhalten wir grenzenlose Freude. Das Spirituelle und das Physische müssen im Einklang sein, wo immer dies möglich ist. Wenn der Schüler weit entfernt wohnt, dann sollte er sich vornehmen, den Meister so oft wie möglich zu besuchen, denn die physische Gegenwart des Meisters hilft, den physischen Verstand des Schülers zu überzeugen. Sonst lehnt sich das Physische auf. Sobald sich etwas außerhalb unseres Gesichtskreises befindet, vergessen wir es leicht. Wenn der Schüler sein untrennbares Einssein mit dem Meister hergestellt hat, dann ist es etwas anderes. Doch wenn die Umstände es erlauben, dass der Schüler zum Meister kommen kann, sollte er es immer tun. Die Notwendigkeit ist sehr offensichtlich. Derjenige, der unendliches Licht, unendlichen Frieden, unendliche Seligkeit besitzt, sollte wenn irgendwie möglich mit den physischen Augen gesehen werden können. Wenn wir die Gemälde eines Künstlers aus dem Museum kennen, dann erhalten wir große Freude, wenn wir den Künstler auch persönlich kennenlernen. Wenn wir den Dichter sehen, dessen Gedichte wir schon immer bewundert und geschätzt haben, erhalten wir zusätzliche Freude. Die Fähigkeiten und der Besitzer dieser Fähigkeit, der Schöpfer und die Schöpfung – beides schenkt uns Freude. Es beglückt uns zutiefst, wenn wir Gottes Schöpfung betrachten können: Bäume, Flüsse, Himmel, Berge – die ganze Schönheit der Natur. Doch was ist das Ziel dieser Bewunderung? In der Schöpfung möchten wir Gott, den Schöpfer sehen, den Besitzer und die Quelle der Schönheit, die wir überall um uns sehen. Deshalb sollte der Schüler zum Meister kommen, wenn er im Meister alle göttlichen Eigenschaften spürt. Wenn der Schüler betet und meditiert, erfährt er diese Eigenschaften und Fähigkeiten des Meisters innerlich. Doch wenn er den Meister auch auf der physischen Ebene von Angesicht zu Angesicht sieht, erfährt er diese Eigenschaften auch äußerlich. Das heißt jedoch auf der anderen Seite nicht, daß er vierundzwanzig Stunden am Tag beim Meister sein muss. Auf der physischen Ebene leben einige Schüler nahe bei mir, während andere weit entfernt wohnen. Jene, die in meiner Nähe wohnen, erhalten zweifellos eine zusätzliche Gelegenheit um Fortschritt zu machen. Wenn ein Mensch dem Meister innerlich und äußerlich nahe kommen kann, macht er den schnellsten Fortschritt. Doch diejenigen, die weit entfernt wohnen, sind in einer gewissen Weise ebenfalls bevorzugt, da Ihnen gewisse Leiden erspart bleiben, unter denen in der Nähe wohnende Schüler leiden. Wenn ich einem bestimmten Schüler zulächle, dir aber nicht, dann wirst du leicht ein Opfer der Eifersucht. Wenn ich auf deine Frau schaue und du kein Gefühl inneren Einsseins hast, denkst du sofort: "Guru hat meiner Frau zugelächelt, mir jedoch nicht." Dann wirst du eifersüchtig. Wenn du mit ihr eins bist, wirst du fühlen, dass auch du mein Lächeln erhalten hast. Wenn du spirituell entwickelt bist, wird dir dein Einssein vollständige Erfüllung schenken. Wenn du in Australien wohnst, kannst du nicht sehen, wenn ich jemandem zulächle. So betrachtet kann es ein Nachteil sein, in der physischen Gegenwart des Meisters zu leben. Ein weiterer Vorteil der physischen Distanz zwischen Schüler und Meister ist, dass man innerlich das spirituelle Leben praktiziert und versucht, eine innere Beziehung mit dem Meister aufzubauen. Wenn man ihn dann auf der physischen Ebene sieht, erhält man eine goldene Gelegenheit, den physischen Verstand von dem zu überzeugen, was man bereits innerlich so stark fühlt.

Bist du dir bewusst, was sich zur gleichen Zeit auf allen verschiedenen Ebenen abspielt?

Sri Chinmoy: Ich kann mir bewusst machen, was sich auf allen Ebenen abspielt, doch gewöhnlich ist das nicht notwendig. Ich habe jedoch immer einen Überblick und weiß ungefähr, was sich auf allen Ebenen abspielt. Es ist wie in einem Haus. Wenn ich in einem Raum bin, kann ich mir all dessen gewahr sein, was sich dort abspielt. Gleichzeitig erhalte ich aber auch einen grundlegenden Eindruck, was sich den anderen Räumen abspielt. Wenn ich daher auf einer bestimmten Ebene arbeite, um meinen Schülern zu helfen, bin ich mir mehr bewusst, was sich auf der betreffenden Ebene abspielt. Was das Leben meiner Schüler betrifft – gibt es hier irgend etwas, woran ich innerlich nicht teilnehme? Wenn ein Schüler unter dem Benehmen anderer Schüler leidet, bin ich letztlich derjenige, der leidet. Äußerlich kann ich sagen: "Das geht mich nichts an.", doch in Wirklichkeit bin ich es, der leidet. Ich sage: "Stört mich nicht, stört mich nicht!" Doch wenn etwas schief geht, weiß ich, wieviel ich leide. Wenn ein Schüler aufrichtig leidet, ist mein Leiden absolut unerträglich.

Was ist der Unterschied zwischen deinem Weg und dem Sufi-Weg?

Sri Chinmoy: Das Licht der Sufi und der Weg, den wir gehen, sind ähnlich. Der Sufi-Weg ist wie unser Weg ein Weg der Liebe. Ich kenne die Sufis nicht sehr gut, doch ich kann etwas über unseren eigenen Weg erzählen. Auf unserem eigenen Weg versucht der göttlich Liebende mit seinem höchsten Geliebten untrennbar eins zu werden. Es wäre jedoch falsch zu sagen, wir blieben immer der göttlich Liebende und der Geliebte immer der Geliebte. Der göttlich Liebende und der höchste Geliebte spielen ein Versteckspiel und vertauschen ihre jeweiligen Rollen. Der Liebende ruft sehnsuchtsvoll nach dem Geliebten; dann wird der Liebende zum Geliebten. Wenn der Liebende nach dem Geliebten ruft und der Geliebte ihm ein Lächeln schenkt, dann dämmert die Erfüllung des Liebenden. Wenn auf der anderen Seite der Geliebte sieht, dass der Liebende nach ihm, nach der völligen Einheit mit ihm ruft, dann ist er zufrieden und erfüllt. Doch der Schrei, den er benötigt, ist kein Schrei aus einem Gefühl der Minderwertigkeit heraus. Es ist lediglich das Gefühl inneren Einsseins, das in einer anderen Form ausgedrückt wird. Es kann durch ein Lächeln, aber auch durch einen inneren Schrei ausgedrückt werden. Der innere Schrei und das Lächeln sind wie Vorder- und Rückseite derselben Münze. Wo sich der innere Schrei des Erdbewusstseins und das Lächeln des Himmelbewusstseins treffen, ist Gott der Enthüllende vollständig, ist Gott der Erfüllende vollständig.

Wie unterscheidet sich dein Weg vom Weg Ramakrishnas?

Sri Chinmoy: Alle Wege führen letztlich zum selben Ziel und sowohl Sri Ramakrishnas Weg als auch mein eigener Weg sind Wege der Liebe, der Ergebenheit und der Selbsthingabe. Doch es gibt einige subtile Unterschiede. Sri Ramakrishna sagte, man brauche keine Bücher zu lesen, alles würde von innen her kommen. Er kümmerte sich überhaupt nicht um den Verstand. Er sagte: "Ihr braucht keinen Verstand. Schreit einfach sehnsuchtsvoll, schreit und schreit!" Es ist zwar wahr, dass das höchste Wissen, die höchste Weisheit von innen her kommt. Doch da Gott uns einen Verstand gegeben hat, sollten wir ihn meiner Meinung nach bis zu einem gewissen Grade nutzen, indem wir inspirierende und erhebende Bücher lesen, die von wirklichen spirituellen Meistern geschrieben worden sind. Auf der anderen Seite ist der Verstand unvollkommen und daher möchte ich, dass meine Schüler über den Verstand hinausgehen. Der Weg Sri Ramakrishnas und unser Weg werden nie miteinander in Konflikt geraten. Er ist ein großer spiritueller Meister und ich hege tiefste Liebe und Bewunderung für ihn. Ich habe über Sri Ramakrishna ein Theaterstück und viele Artikel geschrieben. Vor ein paar Jahren schrieb ich auch zum hundertjährigen Geburtstag von Swami Vivekananda zwölf Artikel über Vivekananda und Sri Ramakrishna. Ich habe niemals behauptet, dass mein Weg irgend einem anderen Weg überlegen sei. Doch wenn ihr Unterschiede wissen wollt, kann ich gewisse kleine Unterschiede nennen. Ich schätze die Liebe, die Ergebenheit und die Selbsthingabe Ramakrishnas. Doch meiner Meinung nach sollten wir auch den Verstand bis zu einem gewissen Grade gebrauchen. Vivekananda, der liebste Schüler Ramakrishnas, benutzte den Verstand als er in den Westen kam. Vivekananda war ein intellektueller Riese. Es gibt überall Kompromisse. Sri Ramakrishna war Schulwissen gleichgültig. Er konnte kaum seinen eigenen Namen schreiben, doch er verkörperte die höchste Wahrheit. Sri Ramakrishna verehrte Mutter Kali, die göttliche Mutter. Er verehrte das Höchste in der weiblichen Form. Er fühlte, dass die göttliche Mutter sein eigenes höchstes Bewusstsein ist. Doch seinen Schülern erlaubte er nicht, mit Frauen zu verkehren. Er riet seinen männlichen Schülern Frauen zu meiden. Er fühlte, dass das für seine Schüler das Beste sei. Die meisten unserer indischen spirituellen Meister haben ihre Schüler gebeten, keinen Umgang mit Frauen zu haben und ebenso ihre Schülerinnen keinen mit Männern. Doch in meiner Philosophie sind beide, Männer und Frauen, Gottes Kinder und sollten zusammengehen. Das eine ergänzt das andere. Doch einen grundsätzlichen Unterschied zwischen meinem Weg und dem Weg Sri Ramakrishnas gibt es nicht. Es gibt nur kleinere Unterschiede.

Was geschieht, wenn Schüler von Christus, Buddha oder Schüler anderer großer verstorbener Meister mit dir meditieren?

Sri Chinmoy: Christus und Buddha sind spirituelle Meister höchsten Ranges. Auch ich bin ein spiritueller Lehrer. Wenn nun spirituelle Lehrer wirklich spirituell sind, sind sie völlig eins. Sie kommen von derselben Familie. Sri Ramakrishna sagte einmal zu seinem geliebten Schüler Vivekananda: "Derjenige, der Rama war, derjenige, der Krishna war, ist nun in einer Form Ramakrishna." Als verwirklichte Seele wird man Teil der universellen Wirklichkeit. Wahre Schüler von Christus und Buddha werden bei öffentlichen Meditationen problemlos mit mir meditieren können, denn ich nehme sie nicht vom Christus- oder Buddha-Bewusstsein fort. Im Gegenteil, ich kann ihnen auf Grund meines eigenen untrennbaren göttlichen Einssein mit Buddha und Christus helfen, ihren göttlichen Geliebten zu verwirklichen. Ich bin hier als eine Art Nachrichtenüberbringer auf der Erde. Ich sage orthodoxen Katholiken und Verehrern anderer großer verstorbener Meister, dass sie sich zuerst an den Sekretär wenden müssen, wenn sie den Chef erreichen wollen. Wenn sie sich mit dem Meister treffen wollen, müssen sie zuerst die Hilfe des Sekretärs oder des Dieners annehmen. Der Diener wird die Türe für sie öffnen und der Sekretär wird den Zeitpunkt des Treffens abmachen. Für jene Personen stelle ich den Sekretär oder Diener dar. Nachdem ich ihnen geholfen habe, ihren Meister zu treffen, ist meine Rolle vorbei. Ich werde ihr Gespräch nicht stören. Wenn allerdings jemand ein sehr enger Schüler von Christus oder Buddha ist und in einem früheren Leben eine enge Beziehung mit einem dieser Meister gehabt hat, dann kann er eventuell direkt zu seinem Meister gehen. Wenn wir in sehr engem Kontakt mit dem Chef stehen, brauchen wir die Hilfe seines Sekretärs nicht. Doch diese Fälle sind äußerst selten.

Was ist der Unterschied zwischen dem Bewusstsein, das Buddha erreichte und demjenigen, das Christus erreichte?

Sri Chinmoy: Ihr müsst mir vergeben, doch es wird euch nicht im geringsten helfen, wenn ihr wisst, was Jesus Christus erreichte oder nicht erreichte. Das einzige was zählt ist, ob ihr versucht, in das Ebenbild Christi zu wachsen. Nur das wird euch helfen. Zu wissen, was Christus oder Buddha erreichten, wird euch überhaupt nicht helfen. Nur der Versuch, in das Bewusstsein Christi oder das Bewusstsein Buddhas zu wachsen, wird euch helfen. Die Zeit wird kommen, wo ihr selbst darüber hinauswachsen müsst. Ihr müsst fühlen, dass Gott eine bestimmte Seele nahm und mit einer äußeren Form in die Welt brachte. Er nannte diese Seele Christus, eine andere Buddha. Gott wollte, dass diese Seelen die Rolle des Christus und des Buddha spielten. Er will, dass ihr die Rolle von jemand anderem spielt. Gott will in und durch jeden auf einzigartige Weise spielen. Die großen Seelen haben ihre Rolle als göttliche Löwen gespielt. Gott möchte nun, dass ihr die Rolle eines kleinen Insekts spielt. Die Avatare haben ihre Rollen höchst zufriedenstellend erfüllt, indem sie sich wie Löwen benahmen. In eurem Fall wird Gott zutiefst zufrieden sein, wenn ihr die Rolle eines Insekts zu Seiner Zufriedenheit spielt – falls Gott euch als Insekt haben will. Er wird euch nicht fragen: "Warum habt ihr nicht die Rolle eines Löwen gespielt?" Er hat euch gebeten, die Rolle eines Insekts zu spielen und Er erwartet von euch nichts anderes. Jede Seele muss ihre Rolle spielen. Christus, Buddha und Krishna haben ihre Rollen erfolgreich gespielt, indem sie bewusste Instrumente Gottes waren. Innerlich spielen sie immer noch ihre Rollen auf der Erde. Nun müssen wir Sucher unsere Rollen spielen. Wenn wir unsere Rollen nicht spielen, wird Gott unerfüllt und unmanifestiert bleiben. In Indien gibt es spirituelle Lehrer, die ihren Schülern raten, die Ausdrücke Unendlichkeit, Unsterblichkeit und Ewigkeit nicht zu verwenden. Die Schüler sollen einfach an den Ort denken, wo sie sich befinden. Ich habe dieselbe Botschaft für euch. Kümmert euch nicht um das Bewusstsein von Christus oder Buddha. Sorgt euch um euer eigenes Bewusstsein. Strebt ihr innerlich? Wenn ihr innerlich strebt, dann ist Gott mit euch zufrieden. Ich will euch in keiner Weise entmutigen. Doch vieles wollt ihr aus reiner Neugier wissen und diese Dinge stehen euch letztlich nur im Weg. Wenn ihr zum gegenwärtigen Zeitpunkt an das Ziel denkt, das die großen Meister erreicht haben, werdet ihr völlig verloren sein. In Indien sind viele Menschen verrückt geworden, weil sie ständig an die Verwirklichung Buddhas, Krishnas oder Ramakrishnas dachten, statt an ihren eigenen Weg: Meditation. Sie gelangten dadurch zu der Überzeugung, dass sie selbst das Bewusstsein Krishnas oder Buddhas hätten und verloren ihren Verstand. In Bangladesch gab es viele Menschen, die physisch stark waren, die vitale oder mentale Stärke besaßen und deshalb ständig an Vivekananda dachten, bis sie das Gefühl erhielten, dass sie selbst ein Vivekananda seien. Doch sobald sie geprüft wurden, sobald sie der Welt gegenüberstanden, erkannten sie, dass sie nur unbedeutende Geschöpfe waren. Im spirituellen Leben ist es immer besser Schritt für Schritt Fortschritt zu machen. Sobald wir sehr hoch emporgestiegen sind, wird es uns möglich sein, das Bewusstsein von Buddha und von Christus zu sehen. Doch zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist es für uns nicht wichtig, an diese Dinge zu denken. Dies würde uns nur verwirren. Ein Marathonlauf ist etwas mehr als zweiundvierzig Kilometer lang. Wenn ein Läufer beim Startschuss daran denkt, dass er das Ziel erst nach zweiundvierzig Kilometern erreicht, wird er völlig entmutigt sein. Er wird denken: "Ich muss zweiundvierzig Kilometer laufen!" und einfach aufgeben. Beim Laufen sollte er umgekehrt denken und zwar dass er bereits einen Kilometer, zwei Kilometer und so weiter hinter sich gebracht hat. Wenn er bereits am Start an das Ziel denkt, das er erreichen soll, verliert er all seinen Mut. Er wird sich sagen, das sei unmöglich. Wenn ein Kind im Vorschulalter an seinen Universitätsabschluss denkt, während es noch dabei ist, das Alphabet zu lernen, wird ihm dies überhaupt nichts nützen. Wenn es seinen Universitätsabschluss so schnell wie möglich erhalten will, verliert es höchstens seinen Verstand. Doch wenn es fühlt, dass es jetzt in den Kindergarten, morgen in die Grundschule, später auf eine weiterführende Schule und letztlich an die Universität gehen wird, ist es ständig inspiriert.

Würdest du bitte den Unterschied zwischen einem Avatar und einem vollkommenen Meister erklären?

Sri Chinmoy: Ein Avatar ist der direkte Stellvertreter des Supreme, ein Stellvertreter höchsten Ranges. Ein vollkommener Meister ist auch ein Stellvertreter des Supreme. Wenn daher jemand ein echter Avatar ist, dann ist er auch ein vollkommener Meister. Und wenn er ein vollkommener Meister allerhöchsten Ranges ist, dann ist er auch ein Avatar.
Andererseits muss der eigene Meister für den jeweiligen Sucher immer vollkommen sein. Dein Meister ist für dich vollkommen und der Meister eines anderen Suchers ist für diesen vollkommen. Jeder Meister sollte von seinen Schülern als vollkommen angesehen werden. Nur auf diese Weise können sie vorwärts gehen. Andernfalls wird ein Schüler nichts lernen. Spiritualität ist nicht wie ein Schulfach, wo der Lehrer nur ein wenig mehr Wissen hat als du selber. Obwohl dein Geographielehrer viele Schwächen haben mag, bist du gezwungen, dich ihm zu unterwerfen und von ihm alles zu lernen, was er weiß, nur weil du Geographie lernen musst.
Im spirituellen Leben jedoch, wo es um inneres Licht, inneres Wissen und innere Weisheit geht, solltest du fühlen, dass dein Meister vollkommen ist. Wenn du nicht das Gefühl hast, dass dein Meister vollkommen ist, kannst du nicht weit kommen. Wenn du von Anfang an denkst: „Nein, er weiß nur ein bisschen mehr als ich, er ist keineswegs vollkommen,“ dann wirst du keinen Fortschritt machen können.
Wenn der Schüler keine Vollkommenheit im Meister sieht, wie will er dann Vollkommenheit in seinem eigenen Leben finden? Nur wenn er das, was er sucht, in jemand anderem manifestiert sieht, wird er danach streben, es zu erlangen. Aber wenn er das, was er sucht, nicht in seinem Meister sieht, dann ist es für ihn absurd, bei dem Meister zu bleiben. Er muss zu einem anderen Meister gehen, um Vollkommenheit zu sehen.
Im Falle eines Avatars ist es eine völlig andere Angelegenheit. Ein Avatar ist ein unmittelbarer Abkömmling Gottes, daher muss er im absoluten Sinne vollkommen sein, weil er das Höchste verkörpert. Andere Meister kommen auch von Gott, aber du solltest wissen, dass es einen großen Unterschied zwischen einem promovierten Professor und einem Kindergartenerzieher gibt.

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