Erfahrung
Ist die Erfahrung des Jenseits ruhig oder bewegt?
Sri Chinmoy: Die Erfahrung des Jenseits ist ruhig, aber nicht statisch. Dynamik und Ruhe existieren dort gemeinsam. In einer der Upanishaden finden wir diese Definition des Jenseits: „Es bewegt sich und es bewegt sich nicht. Es ist fern und es ist nah.“ Wie kann sich etwas bewegen und zugleich nicht bewegen? Es klingt unmöglich. Doch wenn du im Jenseits bist, wirst du sehen, dass das Universum in Bewegung ist und gleichzeitig ruht. Es gibt auch noch eine andere Beschreibung des Jenseits: als Erfahrung des Unendlichen. „Unendlichkeit ist dies. Unendlichkeit ist jenes. Aus Unendlichkeit ist Unendlichkeit entstanden. Wenn von Unendlichkeit Unendlichkeit weggenommen wird, bleibt Unendlichkeit.“
Erinnert sich jemand, nachdem er Gott verwirklicht hat, an all seine Erfahrungen?
Sri Chinmoy: Wenn jemand Gott verwirklicht, heißt das nicht, dass er sich an all die Millionen und Milliarden von äußeren Erfahrungen erinnern wird, die er in seinem Leben gehabt hat. Aber seine inneren Erfahrungen, die wichtigen höheren Erfahrungen, die er in der inneren Welt hatte, kann er nach Belieben hervorholen. Wenn er sein ganzes inneres Leben zum Vorschein bringen möchte, so kann er das tun.
Was ist der Unterschied zwischen Erfahrung und Verwirklichung?
Sri Chinmoy: Der Unterschied zwischen Erfahrung und Verwirklichung ist folgender: Ein verwirklichter Mensch kann sagen: „Ich und mein Vater sind eins“ oder „Gott und ich sind eins“, während ein Sucher, der viele spirituelle Erfahrungen gehabt hat, nur fühlen kann, dass er langsam aber unausweichlich in die Verwirklichung Gottes hinein wächst.
Erfahrung zeigt und sagt uns, was wir schließlich werden – die Besitzer von Gottesbewusstsein. In der Verwirklichung jedoch gelangen wir zu der Erkenntnis, was wir wirklich sind - absolut eins mit Gott, für immer, für alle Ewigkeit.
Wie ist es mit einer Erfahrung, die wir in der inneren Welt hatten, wie zum Beispiel eine Erfahrung während der Meditation? Erinnern wir uns an diese bewusst?
Sri Chinmoy: Wenn ein gewöhnlicher Sucher eine innere Erfahrung hat, behält er diese nicht bewusst, auch wenn die Essenz in seinem inneren Leben aufbewahrt bleibt. Selbst wenn es eine hohe Erfahrung ist, hat er sie nach vier Jahren oder so vollständig vergessen. Die Erfahrung geht verloren, weil die Unwissenheit in seinem Leben sie verschlingt. Er fragt sich: „Wie kann ich eine solche Erfahrung gehabt haben? Wenn ich eine solche Erfahrung hatte, wie kommt es dann, dass ich danach so vieles falsch gemacht habe? Wie kommt es, dass ich nicht meditiert, nicht gebetet habe? Das bedeutet, dass die Erfahrung nicht so bedeutsam war.“ Sein Zweifel verschlingt die Erfahrung. Ein verwirklichter Mensch hingegen weiß, dass alles, was er sah oder fühlte, absolut wahr gewesen ist. Zudem kann er sich aufgrund seiner inneren Schau auch an die inneren Erfahrungen erinnern, die er mit sieben oder acht Jahren oder in früheren Inkarnationen hatte. Aber wenn du einen gewöhnlichen Sucher fragst, selbst wenn er nur zwei wichtige Erfahrungen in seinem Leben hatte, so kann es eine Stunde dauern, bis er sich daran erinnert, oder er kann sich vielleicht gar nicht mehr erinnern.