Ergebenheit gegenüber dem Guru

Spirituelle Ergebenheit, Hingabe oder „Devotion“ ist eine innere Haltung des Suchers. Sri Chinmoy erklärt, warum sie es erleichtert, die Hilfe des Lehrers oder Gottes anzunehmen und ihn wie ein Magnet zum Licht ziehen kann.

Zieht die Beleidigung eines Meisters Vergeltung nach sich?

Sri Chinmoy: Eines Tages wanderte Troilanga Swami nackt die Straße entlang, als der Magistrat und seine Frau ihn sahen. Die Frau war entsetzt und wollte ihn verhaften lassen. Als die Wachen gerade dabei waren, den Yogi zu verhaften, verschwand Troilanga Swami plötzlich. Er war von so vielen Menschen umgeben, dass jeder sich wunderte, wie er entfliehen konnte. Nach kurzer Zeit erschien er wieder am selben Ort und lächelte. Der Magistrat wurde wütend. „Warum machst du solche Sachen?“ rief er. Er beleidigte den Meister erbarmungslos und schimpfte: „Du bist so ein seltsamer Kerl, wie du nur aussiehst! Warum läufst du nackt herum? Hast du keinen Anstand? Du machst uns nichts als Ärger!“ Aber er ließ Troilanga Swami laufen.
In dieser Nacht hatte der Magistrat einen Traum. In diesem Traum sah er einen Sannyasin, der mit einem Tigerfell bekleidet war und einen Dreizack in der Hand hielt, wie er auf ihn zulief und ihn töten wollte. Der Sannyasin rief dem Magistrat zu: „Wie kannst du es wagen Troilanga Swami zu beleidigen, einen so großen spirituellen Meister! Ich werde nicht zulassen, dass du in dieser geheiligten Stadt Benares bleibst.“
Der Magistrat war zu Tode erschrocken. Er schrie laut im Schlaf, bis seine Diener ihm zu Hilfe eilten und ihn weckten.
Am nächsten Tag ging der Magistrat persönlich zu Troilanga Swami, warf sich ihm zu Füßen und bat um Vergebung, die ihm sofort gewährt wurde.
Wenn jemand einen gottverwirklichten Meister beleidigt, zieht er sofortige Vergeltung auf sich, nicht vom Meister selbst, sondern von Gott, der den Meister, Sein erhabenes Instrument, mehr liebt als Sich Selbst. Der Meister vergibt den Schuldigen, da Vergebung sein Wesen ist. Aber obwohl Gott die Vergebung Seiner eigenen Ewigkeit und Unendlichkeit ist, lässt Er es nicht zu, dass Sein auserwähltes Instrument lächerlich gemacht und beleidigt wird, denn Sein Instrument ist der, der von Gott und für Gott allein ist. Was Gott will, ist schließlich immer die beständige Manifestation Seiner eigenen Wahrheits-Licht-Schönheit.

Was passiert mit denen, die versuchen, einen Meister zu beleidigen?

Sri Chinmoy: Einer von Shyama Charan Lahiris Schülern hieß Kali Kumar. Er arbeitete in einem Büro und pflegte seinen Meister sehr oft zu besuchen. Leider gefiel Kali Kumars Chef die Vorstellung nicht, dass dieser einem spirituellen Meister ergeben war. Der Chef war ein Mann im mittleren Alter und wollte Kali Kumars alleiniger Chef sein, daher hasste er den spirituellen Meister buchstäblich.
Eines Tages folgte der Chef Kali Kumar zum Ashram des Meisters in der Absicht, den Meister zu beleidigen. Er wollte sich beschweren, dass Kali Kumar ihm nicht so gehorsam war wie seinem Meister. Bevor der Chef jedoch etwas sagen konnte, begann Shyama Charan Lahiri zu Kali Kumar zu sprechen: „Heute möchte ich dir etwas zeigen, was dir vielleicht gefallen wird. Schalte das Licht aus.“ Kali Kumar schaltete das Licht aus und sie meditierten einige Minuten lang. Dann fragte der Meister: „Kannst du etwas sehen?“ Sowohl Kali Kumar als auch sein Chef sahen ein wunderschönes junges Mädchen. Dann sagte der Meister zum Chef: „Erkennst du sie?“ Der Chef war zutiefst beschämt und verlegen.
„Ist sie nicht deine Geliebte?“ fuhr Shyama Charan fort. „Deine Frau und deine Kinder sind dir so ergeben und treu. Wie kommt es, dass du dich so blind in dieses Mädchen verliebt hast?“
Kali Kumars Chef schrie und weinte. „Bitte vergib mir“, bat er den Meister, „ich möchte dein Schüler werden. Ich möchte von dir eingeweiht werden.“
Shyama Charan sagte: „Ich kann dich jetzt noch nicht einweihen. Du musst noch sechs Monate lang warten. Wenn du sechs Monate lang ein reines Leben führen kannst und deiner Frau treu bleibst, werde ich dich einweihen.“
Der Chef blieb seiner Frau nur drei Monate lang treu, dann kehrte er zurück zu seiner Freundin, und nach vier Monaten starb er.
Wenn du versuchst, einen echten spirituellen Meister zu drangsalieren, dann wird dich erbarmungslose Beschämung verfolgen. Der spirituelle Meister wird dir vergeben, aber für deine eigene Seele wird es äußerst schwierig, wenn nicht unmöglich sein, dir zu vergeben. Deine Seele weiß, dass ein echter spiritueller Meister nicht nur dein bester Freund, sondern dein einziger Freund ist. Wenn du einen spirituellen Meister belästigst, versuchst du, die ewige Freundschaft zu zerbrechen, die zwischen deiner Seele und dem spirituellen Meister leuchtet. Deshalb billigt deine Seele so etwas ganz und gar nicht. Vielmehr ruft in diesem Moment deine Seele den kosmischen Willen bzw. das Gerechtigkeits-Licht an, damit sie ihre Rolle in deinem unstrebsamen und unerleuchteten Leben spielen mögen.

Wenn jemand inneres Streben, aber keine Ergebenheit besitzt, behindert das seinen spirituellen Fortschritt?

Sri Chinmoy: Wenn der Sucher zwar inneres Streben besitzt, aber keine Ergebenheit für den Meister, dann behindert das sicherlich den spirituellen Fortschritt des Suchers. Wenn sich der Sucher allerdings nicht für einen Meister interessiert und nur für sich allein streben will, dann ist das eine andere Sache. Dann kann man nicht erwarten, dass er irgendjemandem Ergebenheit zeigt. Doch auch hier möchte ich sagen, dass er, wenn er wirklich strebt, fühlen muss, dass er eines Tages sein weit entferntes Ziel durch Ergebenheit erreichen muss. Um sein Ziel zu erreichen, braucht er auch ohne Guru immerhin bewusste Ergebenheit für das Ziel selbst, und wenn der Suchende fühlt, dass er diese Ergebenheit nicht benötigt, irrt er sich hoffnungslos.
Es kommt im spirituellen Leben eine Zeit, wo man unweigerlich fühlt, dass Ergebenheit und inneres Streben niemals getrennt werden können. Ergebenheit ist die Kerze, inneres Streben ist die Flamme. Egal welchem Pfad man auch folgt, wenn das eigene innere Streben nicht auf zielgerichteter und hingegebener Ergebenheit für das höchste Ziel gegründet ist, wird die Verwirklichung der allerhöchsten Wahrheit immer unmöglich bleiben.

Wenn wir das Gefühl haben, dass wir nicht ergeben genug sind, wie können wir dann unsere Ergebenheit vergrößern?

Sri Chinmoy: Wenn der Strebende das Gefühl hat, dass er nicht ergeben genug ist, kann er vier Dinge tun, um seine Ergebenheit zu vergrößern. Er sollte versuchen, den Meister noch mehr zu lieben als er es bereits tut. Er sollte versuchen zu fühlen, dass der Meister ihn unendlich viel mehr liebt als er glaubt. Er sollte versuchen, mehr Reinheit in seinem äußeren Leben zu entwickeln. Er sollte versuchen zu fühlen, dass die höchste Wahrheit nur vom Meister und durch den Meister allein zu ihm kommen kann und wird.

Was sind die Manifestationen der Ergebenheit?

Sri Chinmoy: Die Manifestationen der Ergebenheit sind Einfachheit, Aufrichtigkeit, Spontaneität, Schönheit und Reinheit. Die Manifestationen der Ergebenheit sind auch das eigene intensive ergebene Gefühl für den Gegenstand der Verehrung und das Gefühl des eigenen geweihten Einsseins mit dem Inneren Führer.

Was ist Ergebenheit? Ist es nur der Wunsch, einfach alles für den eigenen Guru zu tun?

Sri Chinmoy: Für einen Schüler bedeutet Ergebenheit sein geläutertes, vereinfachtes, intensiviertes, geweihtes, bewusstes und ständiges Einssein mit seinem Guru. Der Schüler muss fühlen, dass der Guru der spirituelle Magnet ist, der ihn ständig zum unendlichen Licht des Supreme zieht. Ergebenheit ist nicht einfach nur der Wunsch, alles für den eigenen Guru zu tun. Ergebenheit ist etwas unendlich viel Tieferes als ein Wunsch oder ein Verlangen. Ergebenheit ist bewusstes Gewahrsein des Lichts in seinem Wirken. In diesem Licht wird der Strebende entdecken, dass, wann immer er etwas für den Guru tut oder der Guru ihn bittet, etwas für ihn zu tun, er bereits mehr als die notwendige Fähigkeit durch den Guru erhalten hat.

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