Gerechtigkeit - Ungerechtigkeit
Geschichte über Ungerechtigkeit
Ich möchte euch eine Geschichte über Ungerechtigkeit erzählen, die gleichermaßen amüsant und erleuchtend ist. Ein junger Mann von achtundzwanzig Jahren eröffnete einen Schreibwarenladen, um seine freie Zeit besser zu nutzen. Geldgewinn war für ihn zweitrangig. Er war ein großer Sucher und hatte einen berühmten spirituellen Meister als seinen Guru.
Eines Tages, er sang gerade seine liebsten Verse aus den Upanishaden, betrat ein kräftiger Mann von ungefähr fünfundvierzig Jahren den Laden. Seine Haut war ungewöhnlich hässlich und – obwohl sein Name Hanuman war, nach dem Affen-Oberhaupt aus dem Ramayana – ähnelte sein Gesicht dem eines Tigers. Er war der Dirigent der örtlichen Opern-Gesellschaft und jeder hasste ihn wegen seiner groben Manieren. In aggressiver Weise schrie er den Besitzer des Ladens an: "Hör auf zu singen! Hör auf zu singen, du sogenannter frommer Mann!"
Der Sucher wurde still.
"Wann gibst du mir mein Geld zurück?" fuhr der Eindringling fort. "Wie oft habe ich dich gebeten mir mein Geld zurück zu geben? Ist es nicht eine Schande, dass ich dich so oft an mein Geld erinnern muss?"
Der junge Mann blieb still.
"Ich höre, dass du jedes Jahr auf eine Pilgerfahrt gehst. Du besuchst Tempel und spirituelle Plätze um Tugendhaftigkeit zu erlangen. Wie vereinbarst du dein äußeres Leben mit deinem so genannten spirituellen Leben? Dein äußeres Leben ist voller Täuschung!"
Der Ladenbesitzer sagte nichts.
"Es ist eine Schande, dass Gott einen Halunken wie dich toleriert", fuhr der Mann in seiner Tirade fort. "In Seinem Namen tust du so viele böse Dinge – Betrug ist davon das Geringste! Wir, die zugegebenermaßen sehr wenig mit Gott zu tun haben, kümmern uns viel darum ein moralisches Leben aufrecht zu erhalten, ein Leben der Integrität. Aber du, der ständig den Namen Gottes ausrufst, du, der von Worten wie "Göttlichkeit", "Liebe" und "Mitleid" berauscht ist, bist weit geschickter die Leute zu betrügen – nicht nur einmal, sondern Tag für Tag!"
Der Angriff steigerte sich allmählich, die Stimme des Kunden wurde lauter und kampflustiger. "Es ist in der Tat unter meiner Würde, überhaupt zu dir zu sprechen. Ich kannte deinen Vater, der auch ein Mann von skrupellosem Charakter war. Kein Wunder – wie der Vater, so der Sohn!"
Der jüngste Bruder des Ladenbesitzers, ein Sportler von zwölf Jahren, war hinten im Laden gerade damit beschäftigt, Luft in seinen Fußball zu pumpen. Bis jetzt hatte der Junge die Beleidigungen des Kunden toleriert, aber als er hörte, dass der Name seines verstorbenen Vaters besudelt wurde, geriet er in Wut und kam nach vorne in den Laden gelaufen. Er wollte sich gerade auf den Kunden stürzen und ihm einen Schlag auf die Nase verpassen, doch die vergebungsvollen Augen seines älteren Bruders, der den Mann mit tiefem Mitgefühl anschaute, hielten den Jungen abrupt davon ab.
Der Kunde forderte erneut in einem Ton, der jetzt schnell und zitternd war: "Warum gibst du mir nicht mein Geld zurück? Ich will nur mein Geld zurückhaben und das ist alles. Meine Zeit ist so wertvoll wie deine."
Der Junge, verwirrt, sprach anstelle seines älteren Bruders. "Welches Geld? Wann hast du es gegeben? Wie viel? Und wem hast du es gegeben?"
Mit einem verteidigenden Lächeln sagte der Kunde: "Junger Mann, ich werde all deine Fragen eine nach der anderen beantworten. Wie viel Geld? Zweihundert Rupien. Wann wurde es gegeben? Vor zwei Jahren. Wem wurde es gegeben?" Es entstand eine momentane Pause als der Kunde sich mit seiner Faust auf die eigene Brust schlug. "Diesem Schurken!" rief er und bezeichnete damit sich selbst.
Im nächsten Augenblick warf er sich vor die Füßen des Ladeninhabers. "Vergib mir! Vergib mir!" rief er mit tränenüberströmten Augen aus. "Ich habe niemals und werde vielleicht niemals wieder einen Menschen wie dich sehen, der die personifizierte Vergebung ist. Ich bin derjenige, welcher der Schurke ist. Auf jegliche Art und Weise habe ich versucht dich zu täuschen, deinen Zorn zu erwecken, dein Blut zur Wallung zu bringen, aber ich muss gestehen, dass ich versagt habe."
"Ich habe auch versagt", fuhr er fort, "dir gegenüber mein Versprechen zu halten, mein Versprechen von vor zwei Jahren. Als du mir Geld geliehen hattest, sagte ich, ich würde es in zwei Monaten zurückgeben. Niemals hast du mich an dieses Darlehen erinnert, niemals!" Der Kunde fuhr fort in seiner bitteren Reue. "Ich habe viele Erfahrungen mit dem Leihen von Geld gemacht und all meine Kreditgeber sind zu Kredithaien geworden. Hier ist es das erste Mal, dass ich den Großmut der Vergebung gesehen habe. Du hast meiner Unwissenheit vergeben. Du hast meine Seele erweckt. Du hasst mein Leben erleuchtet."