Disziplin
Vom Segen der Disziplin
Erstellt von Bhagavantee am 29. May 2011 - 12:51Für manche Menschen ist das Wort allein schon der Grund, die Augen zu verdrehen oder sogar wegzulaufen. Meistens liegt diese Abeneigung in den Erfahrungen der Schulzeit begründet, wo Disziplin ja an der Tagesordnung war. Um der Disziplin den schlechten Beigeschmack zu nehmen, hilft auch wieder nur eines: sich klar zu machen, was sie im eigenen Leben bewirken kann. Was heißt Disziplin eigentlich? Sie bedeutet, etwas regelmäßig, mit Intensität und Anstrengung auszuführen. Eine bestimmte Tagesroutine zum Beispiel, ein sportliches Training, das Üben eines Musikinstruments.
Wenn wir ein Ziel haben, kommen wir nicht drum herum, eine gewisse Disziplin einzuhalten, sonst erreichen wir das Ziel nicht. Die Disziplin kommt also als Resultat unseres Wunsches. Daher müssen wir also unsere Motivation für dieses Ziel kennen und entwickeln. Wenn wir nicht motiviert sind, bringen wir auch nicht die nötige Energie auf. Wie finden wir also die richtige Motivation? Vor allem durch das Beispiel anderer Menschen, die uns mit ihren Errungenschaften auf einem bestimmten Gebiet begeistern. Sie haben uns bereits gezeigt, was möglich ist, welche Vollkommenheit sie schon erreichen konnten. Wenn in uns dann der Wunsch erwacht ist, auch dorthin zu gelangen, sollten wir uns in Bewegung setzen, sollten wir ihnen nacheifern. Die Mittel kommen zu uns, sobald wir bereit sind zu starten.
Im spirituellen Leben spielt sich eigentlich nichts anderes ab: wir haben gesehen, welche inneren Schätze auf uns warten, welchen Grad von Glücklichsein, Frieden und innerer Erfüllung wir erhoffen können und machen uns daher auf den Weg. Zum Glück teilen die spirituellen Meister ihre Weisheit großzügig der Welt mit und geben klare Anleitungen für die Schritte, die zu gehen sind. Wir müssen also immer einen Hunger nach den spirituellen Früchten in uns tragen. Dann wird es uns auch nicht schwerfallen, die tägliche Disziplin der Meditation einzuhalten. Wenn nach Jahren der Routine jedoch Stagnation eintreten sollte, werden wir schnell merken, dass wir auf der Stelle treten. Die Meditation schmeckt trocken, die Freude lässt nach und irgendwie ist die Frische der Anfangszeit verloren gegangen. Dann hilft nur, sich wieder zu erinnern, mit welcher Begeisterung wir einstmals angefangen haben und welche schönen Erfahrungen uns dadurch zuteil wurden. Intensität in der Bemühung ist das Geheimnis, alles mit neuer Begeisterung zu beleben.
"Wir dürfen die Rolle der Disziplin nicht missverstehen. Disziplin ist keine Strafe. Sie ist unsere höchst verlässliche Absicherung." -Sri Chinmoy
Wie wichtig ist Disziplin im spirituellen Leben?
Sri Chinmoy: Als Ramdas noch ein Junge war, meditierten er und sein Guru Devadas Maharaj eines Nachts getrennt an verschiedenen Orten. Es schneite heftig und es war bitterkalt. Jeder hatte vor sich ein offenes Feuer, an dem er sich wärmen konnte. Ramdas meditierte einige Stunden lang, dann schlief er ein. Als er aufwachte, sah er, dass sein Feuer völlig erloschen war. Er war zu Tode erschrocken, da er wusste, dass sein Meister wütend sein würde, wenn er von ihm ein paar brennende Kohlen holen würde. Aber zur gleichen Zeit war es ihm unmöglich, die Kälte zu ertragen. Schließlich nahm er allen Mut zusammen und ging zu seinem Meister, um einige brennende Kohlen zu holen.
Devadas Maharaj kam aus seiner Trance heraus und beschimpfte Ramdas erbarmungslos. „Wer hat dich gebeten, deine Eltern und deine Familie zu verlassen, wenn Schlaf in deinem Leben so wichtig ist?“ schalt er. „Das ist meine letzte Warnung. Falls du noch einmal einschläfst, wenn du meditieren solltest, behalte ich dich nicht länger als meinen Schüler. Dann verdienst du es nicht, mein Schüler zu sein.“
Spiritualität bedeutet Disziplin. Disziplin bedeutet bewussten Fortschritt. Bewusster Fortschritt bedeutet die Transzendenz der Natur. Die Transzendenz der Natur des Menschen ist sein Gewahrsein seines unsterblichen Selbstes zur Erfüllung Gottes auf Gottes eigene Weise.
Disziplin ist immer unentbehrlich, ganz besonders am Anfang des spirituellen Abenteuers eines Suchers. Heute sprechen wir von Disziplin; morgen nennen wir dasselbe eine natürliche und spontane Gewohnheit. Die Vorwärtsbewegung von Heute bringt uns zur Tür von Morgen. Haben wir diese Tür erreicht, brauchen wir nicht einmal anzuklopfen. Der göttliche Eigentümer öffnet die Tür von innen und bittet uns hinein, um uns drei höchst bedeutsamen Freunden vorzustellen: der Schönheit der Ewigkeit, der Wonne der Unendlichkeit und dem Licht der Unsterblichkeit.
Wie kann man ein diszipliniertes Leben führen?
Sri Chinmoy: Ein diszipliniertes Leben können wir nur durch eines erhalten, und das ist durch unser inneres Streben, durch unseren inneren seelenvollen Ruf. Wenn wir uns nach äußeren Dingen sehnen, erhalten wir sie manchmal und manchmal auch nicht. Aber wenn unser inneres Sehnen, unser innerer Ruf aufrichtig ist, sehen wir, dass Erfüllung immer erblüht. Ein Kind schreit nach Milch. Es schreit in seiner Wiege im Wohnzimmer. Die Mutter mag in der Küche sein, aber wo immer sie auch ist, sie kommt gelaufen, um dem Kind Milch zu geben. Und warum? Weil die Mutter spürt, dass das Schreien des Kindes natürlich und aufrichtig ist. Genauso besitzen wir im spirituellen Leben einen inneren Ruf. Wenn wir diesen inneren Ruf haben, spielt es keine Rolle, wann wir rufen. Es kann mittags sein, morgens oder abends. Zu jeder Stunde erreicht dieser innere Ruf Gott, und Gott ist gezwungen, diesen inneren Ruf zu erfüllen. Wenn jemand Disziplin möchte, wenn jemand mit seinem lockeren Lebenswandel unzufrieden ist und fühlt, dass er von einem disziplinierten Leben wahre Erfüllung, Vollkommenheit und Zufriedenheit erhalten kann, dann muss Gott diesem aufrichtigen Sucher unweigerlich helfen. Wenn ein seelenvoller innerer Ruf vorhanden ist, kann ihm nichts auf Erden verweigert werden. Keine Frucht kann jemandem vorenthalten werden, wenn er einen sehnsuchtsvollen inneren Ruf besitzt.
Als Menschen sehnen wir uns nach Ruhm und Ehre und vielen anderen Dingen. Aber wir sehnen uns nicht nach einem, welches von größter Bedeutung ist, und zwar nach Gottes innerem Reichtum. Was ist Sein innerer Reichtum? Sein Innerer Reichtum ist göttliche Erfüllung, göttliche Vollkommenheit. Kein Mensch ist vollkommen. Aber unser Ziel ist es, völlig vollkommen zu sein. Diese vollkommene Vollkommenheit kann nur von Selbstdisziplin kommen. Selbstdisziplin ist der Vorbote der Selbstentdeckung. Selbstentdeckung ist der Vorbote der Gottmanifestation.
Gott ist vollkommen bereit. Er wartet sehnlichst darauf, uns Seine vollkommene Vollkommenheit zu geben. Aber für diese vollkommene Vollkommenheit müssen wir zu einem aufstrebenden inneren Ruf werden, den wir inneres Streben nennen, beständiges inneres Streben. Wenn sich diese Flamme des inneren Strebens zum Höchsten erhebt, erleuchtet sie alles Dunkle ringsumher. Je höher sie empor steigt, desto größer und erfüllender ist unsere Manifestation.