Reinkarnation

Reinkarnation – die Wiedergeburt der Seele in einem neuen Körper – ist Teil der Evolution des Bewusstseins. Sri Chinmoy beantwortet eine Reihe sehr interessanter Fragen über die Wiedergeburt, über spirituelle Entwicklung, die Seele, vergangene Leben u.v.m.

Warum kommen manche verwirklichten Seelen zur Erde zurück und andere nicht?

Sri Chinmoy:
Du freust dich, wenn ich dich bitte, etwas für mich zu tun, für mich zu arbeiten. Ich erhalte Freude, wenn ich dich bitte, für mich zu arbeiten, aber auch, wenn ich dich bitte, nicht zu arbeiten. Genauso ist es bei den spirituellen Meistern. Der Supreme bittet manche Seelen, für Ihn auf Erden zu arbeiten, und andere nicht. Manche Seelen wollen die Göttlichkeit nicht auf der Erde manifestieren, wenn sie Gott verwirklichen, und mit Gottes Zustimmung bleiben sie in der Welt der Seele. Aber jene, die manifestieren wollen, sind wie göttliche Soldaten. Sie kommen wieder und wieder herab und arbeiten für den Supreme für die Transformation der Menschheit. Für diese Seelen ist Manifestation immer notwendig. Sie fühlen, dass Verwirklichung nutzlos ist, wenn keine Manifestation stattfindet.

Gibt es Reinkarnation an sich oder ist sie nur eine religiöse Überzeugung des Hinduismus?

Sri Chinmoy:
Es gibt Religionen, die den Glauben an Reinkarnation annehmen, während andere Religionen es nicht tun. Die Hindu-Religion glaubt an Reinkarnation. Aber Reinkarnation selbst hat mit Hinduismus oder irgendeiner anderen Religion sehr wenig zu tun.
Was ist Reinkarnation? Reinkarnation bedeutet, dass die Seele in einem neuen Gewand in die Welt tritt. Wir tragen im Augenblick Kleider, aber wir können sie zu jeder Zeit ablegen. Wir können frei darüber verfügen. Ähnlich ist es, wenn die Seele feststellt, dass der Körper nicht mehr fähig ist, die höchste Wahrheit zu empfangen, oder wenn sie findet, dass der Körper Ruhe braucht, oder wenn die Seele fühlt, dass Gott möchte, dass sie den Körper verlässt, dann verlässt sie ihn; und wenn Gott will, dass die Seele in einen neuen menschlichen Körper eintritt, dann tut sie es. Ich möchte hinzufügen, dass das Konzept der Reinkarnation nicht nur eine hinduistische Vorstellung oder eine hinduistische Philosophie oder eine hinduistische Betrachtungsweise des Lebens ist, sondern eine Wahrheit, von der viele, viele Menschen im Westen überzeugt sind.
In der Gita, einem unserer heiligsten Bücher, das manchmal auch die Bibel Indiens genannt wird, finden wir einen wunderschönen Vers über Reinkarnation, den ich hier zitieren möchte.
(Sri Chinmoy chantet Vers 22, Kapitel 2 der Bhagavad Gita in Sanskrit)
„So wie ein Mensch seine alten und abgetragenen Kleider ablegt und neue anlegt, so legt die Seele diesen Körper ab und wandert von Körper zu Körper.“
Das ist, was wir vom spirituellen Standpunkt des Hinduismus aus Reinkarnation nennen.

Warum glaubst du an Wiedergeburt? Ich weiß sehr gut, dass ich zu Gott gehen werde, wenn ich sterbe. Und das ist alles.

Sri Chinmoy:
Mein Freund, so wie du zu Gott gehen wirst, wenn du den Körper verlässt, so werde auch ich es tun. Unsere Sache ist es, zu Gott zu gehen; es ist Gottes Sache, ob Er dich im Himmel behalten und mich zur Erde zurückschicken will, oder umgekehrt. Das Beste für uns ist, uns Gott zu überantworten und es Ihm zu überlassen, uns auf Seine eigene Weise zu erfüllen. Lassen wir alle vorgefassten Ideen über die Existenz oder Nichtexistenz der Wiedergeburt beiseite und tun wir das Einzige, das von Bedeutung ist: mit Seinem Willen und Bewusstsein eins zu sein.

Warum traten wir vom Licht in die Dunkelheit, als wir geboren wurden?

Sri Chinmoy:
Im Grunde kamen wir nicht aus dem Licht in die Dunkelheit, als wir die Welt betraten. Es ist eine sehr komplizierte Angelegenheit. Jede Geburt ist ein Teil des Evolutionsprozesses. Jeder Mensch hat eine Seele. Die Seele tritt in die Materie ein und von dort aus strebt sie. Mutter Erde hat den inneren Drang, das Bestreben, eins zu werden mit dem Höchsten, mit dem kosmischen Selbst, und eines Tages werden alle Menschen auf der Erde mit dem Höchsten Geist eins werden. Dies ist ein Entwicklungsprozess, der zu vollkommener Vollkommenheit führt. Manche Leute werden sagen, dass Gott überall ist; Gott ist in uns und Gott ist gleichermaßen in einem Dieb. Wenn Er nicht in der Schöpfung, sondern jenseits der Schöpfung ist, ist Er reines Licht und genießt das Licht des Jenseits. Wenn Er jedoch in die Manifestation eintritt, will Er sich auf millionenfache Weise erfreuen. Das kosmische Selbst will sein Kosmisches Spiel in jedem Menschen und in jedem Geschöpf hier auf Erden erfüllen. Dafür schreitet die Evolution voran.
Unsere Seele ist reines Licht. Aber die Atmosphäre auf der Erde strebt nicht. Wenn jemand geboren wird, sieht er als erstes ringsumher Unwissenheit und Illusion. Auf der höchsten Ebene sind wir alle vollkommen, aber jetzt, auf der materiellen Ebene, erfahren wir das Spiel der Unwissenheit. Während unserer Meditation erheben wir unser Bewusstsein ein Stück weit und finden uns Hunderte von Meilen über dem Dornenbett. Wenn wir jedoch dort bleiben, wohin uns unsere Meditation trägt, über den Dornen, und wenn wir uns zugleich nach Vollkommenheit sehnen, dann wird unsere Sehnsucht nur zum Teil erfüllt. Dann essen wir nicht die ganze Frucht. Gott ist in allem. Er muss auch auf der materiellen Ebene verwirklicht werden.
In der höchsten Philosophie ist das, was wir Nacht nennen, keine absolute Nacht. Es ist auch etwas Licht darin. Ein verwirklichter Mensch hat natürlich mehr inneres Licht als ein Mensch, der nicht verwirklicht ist. Die Welt wird sagen, dass ein unverwirklichter Mensch voller Unwissenheit ist, weil er Gott nicht verwirklicht hat. Wir vergleichen einen Menschen immer mit einem anderen. Aber in Wirklichkeit wachsen wir von wenig Licht in mehr Licht, in unermessliches Licht hinein, jeder entsprechend seinem eigenen Verständnis und seiner eigenen Fähigkeit. Was wir Nacht nennen, ist auch Licht, nur in unendlich kleiner Form. Weil wir vorwärts gehen, sehen wir den Unterschied zwischen strahlendem Licht und dunkelster Nacht. Genau genommen ist in allem Licht. Unser menschliches Verständnis lässt uns beides sehen, Licht wie Dunkelheit. Doch vom höchsten Standpunkt aus sollten wir immer fühlen, dass wir von Licht zu mehr Licht und zu unermesslichem Licht wandern.

Du sagtest, dass wir uns alle entwickeln und Fortschritt machen. Aber wo hat dieser ganze Prozess begonnen? Gab es einen Anfang?

Sri Chinmoy:
Wir sind aus Gottes Wonne ins Dasein getreten. Als wir in die Schöpfung eintraten, entwickelten wir uns durch die niederen Stufen: durch das mineralische Leben, das pflanzliche Leben, das tierische Leben. Obwohl wir jetzt die Stufe des menschlichen Lebens erreicht haben, sind wir noch immer halbe Tiere. Einige von uns wollen andere töten oder verletzen und zeigen alle möglichen tierischen und zerstörerischen Neigungen.
Aber im Falle eines spirituell Strebenden ist es anders. Er versucht, seine niedere Natur zu transzendieren, und strebt danach, sich seiner göttlichen Natur bewusst zu werden und in ihr zu leben, wo er Frieden, Freude und Liebe erfährt.
Am Anfang kamen wir aus der Wonne; jetzt wachsen wir in der Wonne, und schließlich werden wir bewusst in die Wonne zurückkehren.

Was ist Sinn und Zweck der Reinkarnation?

Sri Chinmoy:
In einer Lebensspanne auf Erden können wir nicht alles tun. Wenn wir in der Welt der Wünsche bleiben, können wir niemals Erfüllung finden. Als Kinder haben wir Millionen von Wünschen, und selbst wenn wir siebzig Jahre alt werden, sehen wir, dass ein bestimmter Wunsch nicht erfüllt wurde und sind darüber unglücklich. Je mehr Wünsche wir erfüllen, desto mehr Wünsche haben wir. Wir wollen erst ein Haus, dann zwei Häuser, erst ein Auto, dann zwei Autos und so weiter. Es nimmt kein Ende. Wenn unsere Wünsche erfüllt sind, stellen wir fest, dass wir noch immer unzufrieden sind. Dann fallen wir anderen oder größeren Wünschen zum Opfer.
Unser Liebster ist Gott. Glaubst du, dass Gott es zulassen wird, dass wir unerfüllt bleiben? Nein! Gottes Ziel ist es, jeden einzelnen Menschen zu erfüllen und Sich selbst durch uns zu erfüllen. Er wird uns wieder und wieder zurückkehren lassen, damit unsere Wünsche erfüllt werden. Wenn jemand in dieser Inkarnation unbedingt ein Millionär werden will und er an seinem Lebensabend sieht, dass er immer noch kein Millionär geworden ist, dann wird er, sofern sein Wunsch wirklich intensiv ist, so lange zurück kommen müssen, bis er wirklich zum Millionär wird. Doch wenn er zum Millionär wird, wird er feststellen, dass er in gewissem Sinne ein Bettler geblieben ist, da er keinen inneren Frieden haben wird. Wenn er in die Welt inneren Strebens eintritt, mag er kein Geld haben, aber er wird inneren Frieden besitzen, und das ist sein wahrer Reichtum.
Wenn wir in der Welt der Wünsche leben, sehen wir, dass die Kette der Wünsche endlos ist. Doch wenn wir in der Welt inneren Strebens leben, sehen wir das Ganze, wir treten in das Ganze ein und schließlich werden wir zum Ganzen. Wir wissen, wenn wir Gott verwirklichen können, werden wir alles in Gott finden, denn alles existiert in Gott. Schließlich verlassen wir daher die Welt der Wünsche und treten in die Welt des inneren Strebens ein. Dort verringern wir unsere Wünsche und Begierden und denken zunehmend an Frieden, Glückseligkeit und göttliche Liebe. Es mag Jahre dauern, ein wenig Frieden, einen Tropfen Nektar zu erhalten. Doch ein spiritueller Mensch ist bereit, für unbestimmte Zeit auf Gottes Stunde zu warten, damit sein inneres Streben erfüllt wird. Und sein Streben danach, diesen Frieden, dieses Licht und diese Glückseligkeit zu erlangen, wird nicht vergeblich sein.
Wenn es nun unser Ziel ist, in das Höchste, das Unendliche, das Ewige, das Unsterbliche einzutauchen, wird eine kurze Lebensspanne natürlich nicht ausreichen. Doch auch hier wird Gott nicht zulassen, dass wir unerfüllt bleiben. In unserer nächsten Inkarnation werden wir unsere Reise fortsetzen. Wir sind ewige Reisende. Wir müssen weitergehen, weitergehen, bis wir unser Ziel erreichen. Vollkommenheit ist das Ziel jedes Menschen. Wir versuchen, uns in einer unvollkommenen Welt zu vervollkommnen. Doch diese höchste Vollkommenheit können wir niemals in einem Leben erlangen.
Durch inneres Streben und Evolution entfaltet die Seele ihr volles Potenzial, das Höchste zu verwirklichen und das Göttliche zu erfüllen. Das Physische - das Menschliche in uns - muss danach streben, mit dem Göttlichen in uns – der Seele – eins zu werden. Im Augenblick jedoch hört der Körper nicht auf die Gebote der Seele; mit anderen Worten, der physische Verstand rebelliert.
Die Aktivitäten des physischen Verstandes verdecken die göttliche Bestimmung der Seele, und die Seele kann nicht zum Vorschein kommen. Auf der gegenwärtigen Entwicklungsstufe sind die meisten Menschen unbewusst und wissen nicht, was die Seele will oder braucht. Sie haben Wünsche und Begierden, Erfolgsängste, Spannung und Erregung. All dies wurzelt im Vitalen oder kommt vom Ego, während alles, was mit dem Bewusstsein der Seele getan wird, nichts als reine Freude ist. Bisweilen mögen wir die Gebote unserer Seele oder die Botschaft unseres Gewissens hören, aber trotzdem tun oder sagen wir nicht das Richtige. Der physische Verstand ist schwach; wir sind schwach. Wenn wir jedoch beginnen, mit dem Verstand zu streben, und dann über den Verstand hinaus zur Seele gehen, können wir leicht die Gebote der Seele wahrnehmen und auf sie hören.
Der Tag wird kommen, an dem die Seele in der Lage sein wird, ihre göttlichen Eigenschaften hervor zu bringen und den Körper, den Verstand und das Herz die Notwendigkeit ihrer Selbst-Entdeckung fühlen zu lassen. Das Physische und das Vitale werden bewusst auf die Seele hören und von der Seele geleitet und geführt werden wollen. Dann werden wir hier im Physischen eine unsterblich gewordene Natur, ein unsterbliches Leben haben, denn unsere Seele wird völlig und untrennbar eins mit dem Göttlichen auf Erden geworden sein. Zu diesem Zeitpunkt werden wir unseren inneren Reichtum der ganzen Welt anerbieten und das Potenzial unserer Seele manifestieren. Sehr oft kann Verwirklichung in einer Inkarnation erlangt werden, doch für die Manifestation muss die Seele wieder und wieder auf die Erde herab kommen. Solange wir nicht die höchste Göttlichkeit in uns enthüllt und manifestiert haben, ist unser Spiel nicht vorbei. Wir haben unsere Rolle im Kosmischen Drama noch nicht vollendet, deshalb müssen wir wieder und wieder in die Welt zurückkommen. Im Laufe der Evolution wird die Seele jedoch in einer ihrer Inkarnationen das Göttliche im Physischen und durch das Physische vollständig verwirklichen und manifestieren.

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